Sieben kurze Fragen zum Streik der Lehrbeauftragten am Institut für Ethnologie und Afrikanistik

Anbei ein Artikel von Magnus Treiber zur Situation der Lehrbeauftragten.

- Wer und was sind Lehrbeauftragte? ...
- Warum streiken die Lehrbeauftragten? ...
- Was bedeutet das für die Studierenden? ...
- Was ist bisher geschehen? ...
- Warum passiert nicht mehr? ...
- Was passiert in Zukunft? ...
- Was können die Studierenden tun und warum? ...
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Sieben kurze Fragen zum Streik der Lehrbeauftragten am Institut für Ethnologie und Afrikanistik


Wer und was sind Lehrbeauftragte?


Lehrbeauftragte gehören zum nebenberuflich tätigen Wissenschaftspersonal an Hochschulen, sie sind dort nicht angestellt - also auch nicht sozialversichert - und bekommen am Ende eines Semesters eine Vergütung für ihre abgehaltenen Lehrstunden, diese betrug für das vergangene Wintersemester 05/06 am Institut für Ethnologie und Afrikanistik EUR 270,-, bei 15 doppelstündigen Seminarsitzungen also EUR 9,- je Lehrstunde.
Lehrbeauftragte waren eigentlich zur Ergänzung eines Lehrangebotes durch außeruniversitär tätige Experten gedacht, die ohnehin nur ein symbolisches Honorar bekommen sollten. Immerhin sieht die aktuelle Lehrauftrags- und -vergütungsvorschrift des Bayerischen Ministeriums für Wissenschaft, Forschung und Kunst vom 08.06.2001 hierfür noch EUR 21,- bis EUR 60,60 vor, die allerdings mit Verweis auf den Haushalt ohnehin nicht ausgezahlt werden. Unnötig zu erwähnen, dass mit EUR 9,- weder das Nahverkehrsticket noch die Kopierkarte bezahlt sind bzw. das ein gutes Proseminar viele zusätzliche Stunden Vorbereitung, Referatsbetreuung und monatelange Korrigieren im Folgesemester mit sich bringt. Längst hat der nebenberufliche Lehrauftrag die feste Assistentenstelle als obligatorische Qualifikationsphase des wissenschaftlichen Nachwuchses verdrängt, zudem sind Lehraufträge vor allem in den Geistes- und Sozialwissenschaften mitnichten Ergänzungen, sondern repräsentieren wichtige wissenschaftliche Themenbereiche, die dank Personalabbau und drückenden Studierendenzahlen ohne Lehraufträge gar nicht mehr angeboten werden könnten. Lehrbeauftragte garantieren also nahezu ohne Bezahlung den alltäglichen wissenschaftlichen Betrieb und ein forschungsnahes Lehrangebot im Grundstudium, sie tun dies in der Hoffnung, sich einmal qualifizierter für eine wissenschaftliche Stelle oder ein Projektstipendium bewerben zu können. Lehrbeauftragte sind für scheinbar stets finanzknappe Universitäten daher eine dankbare Ressource billigster Qualitätsarbeiter, dem sogenannten Bildungsproletariat oder -prekariat.


Warum streiken die Lehrbeauftragten?

Am Institut für Ethnologie und Afrikanistik der Universität München haben sich die Lehrbeauftragten entschlossen, im Sommersemester 2006 ihre Lehraufträge nicht anzunehmen, denn genaugenommen können in Deutschland nur Festangestellte im Arbeitskampf in den Streik treten. Die überaus bescheidene Vergütung der von uns angebotenen Proseminare zwingt uns dazu, unseren Lebensunterhalt hauptsächlich mit selten gutbezahlten oder gar längerfristigen Jobs zu bestreiten. Darunter leidet nicht nur die Qualität unserer Lehre, denn Proseminare sind eine sehr zeitaufwendige Angelegenheit, für welche dann manches Mal nicht mehr der angemessene Raum bleibt, darunter leiden auch wir selbst. Wir wollen unsere Situation öffentlich machen, vielen war unsere Vergütung auch universitätsintern nicht bekannt, und streiken für eine Verbesserung unserer Situation – und hierzu werden von uns eine ganze Reihe Lösungsansätze diskutiert, von der einfachen Aufstockung unserer Vergütung bis zu unserer Einbindung in den B.A./M.A.-Umbau. In jedem Fall stellen wir die eingeforderte Würde angemessener Arbeitsbedingungen gegen die kostengünstige Ehre universitären Unterrichtens.


Was bedeutet das für die Studierenden?

16 Seminare und 2 Sprachkurse sind dieses Semester ausgefallen, die einmal mehr den Anspruch einer globalen Sozial- und Kulturwissenschaft Ethnologie bekräftigt hätten, denn Ethnologie lässt sich – wie so viele andere Fächer auch – in der Sparversion schlicht nicht studieren. Was das für Sie persönlich, meine Damen und Herren, Ihre Vorstellungen einer wissenschaftlichen Bildung, Ausbildung und Karriere, Ihr politisches Verständnis gesellschaftlicher Transformationsprozesse und schlicht für die Organisation Ihres Studiums, Ihrer Scheine und Prüfungen bedeutet, müssen Sie schon selbst beantworten. Sozial- und Kulturwissenschaft kann jedenfalls mehr sein als das Auswendiglernen von Exzerpten und die Vorbereitung auf Multiple-Choice-Klausuren zum Zwecke eines akademischem Abschlusses.


Was ist bisher geschehen?

05/05 Erstes Lehrbeauftragten-Treffen am Institut für Ethnologie, zahlreiche und andauernde Folgetreffen mit Instituts- und Fachschaftsvertretern, Gästen anderer Institute, mit Rechtsexperten, Personalratsvertretern und Journalisten
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06/05 Gemeinsamer Brief der Lehrbeauftragten an den Dekan der Fakultät 12
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07/05 Antwort des Dekans und Diskussion im Fachbereichsrat
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09/05 Umfrage unter Lehrbeauftragten anderer Fächer
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10/05 Redebeitrag auf der Personalvollversammlung auf Einladung des Personalrates der Universität München
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„Wissenschaft gratis! Lehrauftrag statt Stelle“ In: Tacheles 02/05, www.bayern.gew.de/lass/hochschulgruppen/muenchen/tacheles/index.htm
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12/05 „Lehrauftrag: Wissenschaft für ein Butterbrot“ In: Ethnologik ‚Going Public’
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01/06 Presseerklärung der Lehrbeauftragten, 30.01.06
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02/06 Diskussionsveranstaltung mit Podium „Beruf Wissenschaft – Prekäre Karriere für die Elite-Universität“ gemeinsam mit dem AK Gewerkschaften an der Universität München, eingeladen waren Institutsvorstand Matthias S. Laubscher, Dekan Jens-Uwe Hartmann und Vertreter der Gewerkschaften ver.di, Barbara Zahn, und GEW, David Bowskill, 06.02.06
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Afrikanistentag 2006 am Institut mit Diskussion „Stellung und Zukunft der Afrikanistik in Universität und Gesellschaft“, 13.02.06
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Presse: „Hungerlöhne an Münchner Uni“ u.a., AZ 04./05.02.06; „Protest der Lehrbeauftragten“ AZ 07.02.06; „Fast zum Nulltarif“ SZ, 08.02.06, Radiobeitrag auf Radio Lora
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04/06 Gespräch der Lehrbeauftragten-Initiative mit Rektor Huber, Finanzchef Balleisen und Kanzler May
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Streikentscheidung nach Urabstimmung vor Vorlesungsbeginn, Bekanntgabe am 24.04.06
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Presse: „LMU München - Lehrbeauftragte im Streik!“ indymedia 25.04.06
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Presseerklärung der Lehrbeauftragten, 27.04.06
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Seminarbesuch der Lehrbeauftragten zur Information von und Diskussion mit Studierenden
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05/06 Veranstaltung der FS Ethnologie auf dem Marienplatz, für die Lehrbeauftragten spricht Wolfgang Habermeyer, für die PrivatdozentInnen Annette Hornbacher, 02.05.06
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Presse: „Streik gegen ‚Hungerlöhne’“, SZ 03.05.06, „Drei-Euro-Lohn: Lehrbeauftragte im Streik“, Münchner Merkur 09.05.06, Radiobeitrag auf Radio Lora
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Briefe an die Fraktionen im Bayerischen Landtag
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Brief eines Mitgliedes an die Münchner Universitätsgesellschaft
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Veranstaltung der ‚Jungen GEW’ zum Wissenschaftstarifvertrag mit GEW-Wissenschaftsreferentin Claudia Kleinwächter, Diskussion auch zum Thema Lehrauftrag, 11.05.06
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Redebeitrag zu Situation und Forderungen der Lehrbeauftragten bei der studentischen ‚Langen Nacht der Universität’, 11.-12.05.06
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„Lehrbeauftragte an der Uni München im ‚Streik’“ In: Tacheles 01/06, www.bayern.gew.de/lass/hochschulgruppen/muenchen/tacheles/index.htm
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06/06 Ausstrahlung von Arno Trümpers Dokumentation „Forscher in Not“ im Wissenschaftsmagazin Nano auf 3Sat, Diskussion mit Studiogast Frau Prof. Wintermantel, aktuelle Vorsitzende der Hochschulrektorenkonferenz, 06.06.06, siehe auch „Unistreik in München – Aufstand der Billig-Elite“ (http://www.br-online.de/wissen-bildung/artikel/0606/07-streik-lmu/index.xml)
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Informationsabend am Department für Philosophie auf Einladung der dortigen Lehrbeauftragteninitiative, 14.06.06
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Berichterstattung jGEW Bayern, 17.06.06
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Diskussion der Lehrbeauftragten mit Institutsvertretern im Oberseminar am Institut, 19.06.06

Ganz abgesehen davon gibt es rege organisatorische Aktivitäten, die wenig öffentlichkeitswirksam sind, andere mag ich einfach vergessen haben.


Warum passiert nicht mehr?

Lehrbeauftragte sind eine sehr heterogene Gruppe, die nicht in universitären Gremien vertreten ist und an der Universität meist auch keine eigenen Arbeitsplätze besitzt. Viele sind nur einmal in der Woche zu ihrem Seminar am Institut und ansonsten in Jobs, Forschungsprojekten oder mit dem Verfassen von Bewerbungen, wissenschaftlichen Forschungsanträgen und Veröffentlichungen beschäftigt, mal abgesehen von privaten familiären Verpflichtungen. Unsere relativ gute Vernetzung verdanken wir nicht zuletzt Informationsversorgung, Wertschätzung und Unterstützung durch das Institut für Ethnologie. Diskussions- und Planungstreffen sind indes mühsam festzulegen und können immer nur von einer Handvoll oft wechselnder Betroffener besucht werden, zudem sind wir keineswegs immer derselben politischen Ansicht – und müssen das auch nicht sein. Dass die Lehrbeauftragten sich geschlossen für einen ‚Streik’ im Sommersemester 2006 entschlossen haben, ist daher erst einmal ein Erfolg, andererseits natürlich auch ein Zeichen allgemein geteilter Frustration.
Sicherlich hätte unsere Kommunikation mit den Studierenden professioneller ausfallen müssen (für Engagement und bereitgestellte Plattformen bedanken wir uns herzlich bei den involvierten Studierenden), nichtsdestotrotz passiert eben nur das, was Einzelne trotz anderweitiger Belastungen noch zu leisten bereit und in der Lage sind. An anderen Instituten und Einrichtungen beginnt sich der Widerstand erst zu regen, auch angesichts kommender Studiengebühren und landesweiter Proteste ist also nicht mit einem Einschlafen unseres Anliegens zu rechnen.


Was passiert in Zukunft?

Anfang Juli sind wir bei Kolleginnen und Kollegen am Institut für Soziologie eingeladen, um zu berichten und etwaige gemeinsame Strategien zu besprechen. In den Semesterferien erwarten wir ein erneutes Gespräch mit Rektor, Kanzler und Finanzchef, das uns bereits fest zugesagt wurde. Pläne, wie wir im Wintersemester vorgehen werden, sind nicht unwesentlich vom Ergebnis dieses Gespräches abhängig.

Schon fest geplant und öffentlich ist unsere Ringvorlesung am Odeonsplatz, 20.07.06, 16-22:30 Uhr. Dort werden wir Vorträge halten und immer wieder auch auf unsere Anliegen verweisen.


Was können die Studierenden tun und warum?

Um ganz konkrete Mithilfe bitten wir bei der Organisation unserer öffentlichen Ringvorlesung (Technik, Werbung, Besuch,...). Außerdem möchten wir einen schriftlichen Massenprotest anregen, der über das Dekanat für Kulturwissenschaften (oder andere mögliche Kontakte) dann ans Rektorat der Universität München weitergereicht wird. Adressenlisten liegen fertig ausgedruckt in der Teeküche des Institutes aus.
Wir Lehrbeauftragten bleiben selbst bei größtem Einsatz eine kleine Gruppe ohne nennenswerten Einfluss, allein Studierende können große Entscheidungen herbeiführen. 1997 konnte ich als Teil einer Protestgruppe von vielleicht 150 Studierenden die Stürmung des Senats der Universität miterleben, um eine gefährdete Professorenstelle zu retten. Der Protest hatte letztlich nicht nur Erfolg, er war auch ein Auftakt für den großen Studierendenstreik 1997/1998. Sie schulden uns kein Mitleid – schließlich haben wir uns selbst für den steinigen Weg der Wissenschaft entschieden – Sie sollen lediglich beantworten, ob Sie auf Dauer (und nicht nur für ein Semester) ohne unser Lehrangebot auskommen wollen, ob Sie ganz grundsätzlich für Ihr eigenes Studium wissenschaftliche Qualität und gesellschaftliche Wertschätzung einfordern, ob Sie bereit sind, demnächst ohne jegliche erkennbare Verbesserung in der Lehre Studiengebühren zu bezahlen, und letztlich ob Ihnen, den Studierenden der Kultur- und Sozialwissenschaften, die Welt, in der Sie leben und sich ernähren müssen, gleichgültig bleiben sollte.


Magnus Treiber

 

Über uns:

Wir sind Studenten der Ethnologie an der LMU München und protestieren gegen die allzu schlechten Verhältnisse in der Lehre an unserer "Elite-Uni". Hier kann jeder Meinungen und Infos rund um unsere Aktion hinterlassen.

Kontakt:
ethnofachschaft [at] gmx.de

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